Bericht der SZ: „Man hat Angst, was die anderen sagen werden“

Queer Fight Club

Beim Queer Fight Club der Grünen Jugend Dachau berichten viele von alltäglichen Diskriminierungen wegen ihrer sexuellen Identität. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Beim Queer Fight Club der Grünen Jugend Dachau fordern die Teilnehmer mehr rechtlichen Schutz für Homo- und Transsexuelle vor Hass und Gewalt

Von Viktoria Hausmann, Dachau

In dem Film „Fight Club“ treffen sich Männer geheim in einem Keller, um sich gegenseitig zu verprügeln. Die erste Regel des Fight Clubs lautet: „Ihr verliert kein Wort über den Fight Club.“ Beim Queer Fight Club der Grünen Jugend Dachau ist das anders. Es geht um die Rechte „queerer“ Menschen und um den Hass, der ihnen fast täglich entgegenschlägt. Darüber muss man reden. Ami Lanzinger (25) schlägt jeden Tag der Hass im Internet entgegen, sogar Morddrohungen gibt es. Lanzinger ist nämlich nicht-binär, das heißt „sie“ ist weder Mann noch Frau. Dafür gibt es in der deutschen Sprache keine richtige Bezeichnung, auch wenn Gender-Theoretiker es mit Sternchen, Unterstrich und dem englischen Pronomen „they“ versuchen. Rein rechtlich gesehen gilt sie als Frau. Nur fühlt sich Lanzinger eben nicht so. „Das veraltetet Transsexuellengesetz muss abgeschafft werden“, fordert er. „Die Verpflichtung, erst eine Psychotherapie zu machen, ohne die man weder den Namen noch das Geschlecht im Geburtenregister ändern kann, ist für viele nicht sinnvoll. Es gibt zurzeit keine Therapieplätze. Ich suche schon ein halbes Jahr lang.“ Ami Lanzinger kandidiert für den Bundestag im Landkreis Erding. Für sich selbst benutzt er männliche Pronomen. Auf Briefen an ihn steht häufig Frau Lanzinger (divers).

Am Eingang des Schützensaals des Gasthauses „Drei Rosen“ wartet Podiumsteilnehmer Joel Keilhauer (29) neben der Fahne der Grünen Jugend. Er ist Vorstand der Münchner Grünen. Der gebürtige Zwießler trägt dem Anlass entsprechend einen fliederfarbenen Anzug und rosa Mundschutz. Später wird er von seinem Outing in der Teenagerzeit erzählen. Von den strengen Blicken in der niederbayerischen Provinz, wenn er mit seinem damaligen Freund Händchen hielt. Das Keilhauer bisexuell ist, ging vielen in seiner Heimat zu weit: „Das war in der Pubertät nicht einfach. Wir sind eine sehr enge Dorfgemeinschaft. Jeder weiß alles. Da hat man dann noch mehr Angst was die anderen sagen werden.“

Unter den „Progress-Flaggen“ – eine noch buntere Version der Regenbogenfahne, die auch für die Rechte von Transsexuellen und Schwarzen stehen soll – ragen im Schützensaal die Männer- und Frauenfüße der gemalten Dachauer Trachtler in Wadlstrümpfen und Haferlschuhen hervor. Daneben machen sich der Rapper Sir Mantis und die Pfarrerin und Poetry-Slamerin Veronika Rieger für die Pause warm. Auf dem Podium versammeln sich neben Ami Lanzinger und Joel Keilhauer noch Emma Kohler (17), Transfeministin und Klima-Aktivistin aus Traunstein, und Marlene Schönberger, die Vorsitzende von „Queer Niederbayern“, Landesvorsitzende und Spitzenkandidatin der Grünen Jungend Bayern für die Bundestagswahl. Der Saal ist bis auf ein wenige Plätze gefüllt. Moderatorin Schönbergerfragt alle auf dem Podium nach ihren Outings, ihren Problemen und danach, was die Politik ändern sollte. Emma Kohler erzählt, dass sie das Einverständnis ihrer Eltern bräuchte, um auch gesetzlich zu Emma zu werden. Ohne deren Erlaubnis darf sie keine weiblichen Hormontabletten nehmen. Mit 13 dämmerte ihr, dass sie kein Junge ist. Erst im vergangenen Jahr traute sie sich zu outen. Sie war die erste Transperson an ihrer Schule. Andere folgten ihrem Beispiel. Sie erfuhr von Mitschülern, die wegen ihrer Homo- oder Transsexualität Ärger mit ihren Eltern hatten und nirgendwo hinkonnten: „Ein Trans-Freund von mir wurde von seinem sehr rechts eingestellten Vater als von Dämonen besessen bezeichnet,“ erzählt sie. Wie Ami Lanzinger schlägt auch Kohler viel Hass in den sozialen Medien entgegen: „Da sind so Sachen dabei wie ‚Du bist ein Depp. Geh sterben!“ oder ‚Du wirst niemals ein Mann sein.“ Sie zuckt mit ihren breiten Schultern: „Ja genau! That’s my point.“ Die Zuhörer lachen.

Kohler, Lanzinger und Keilhauer wünschen sich ein Ende der Diskriminierung. Mehr Schutz vor Hass und Gewalt durch das Gesetz. Einfachere Möglichkeiten ihre Identität zu ändern. Mehr Aufklärung über LGBTQ in der Gesellschaft, gleiche Rechte für Regenbogen-Familien und ein Ende des Transsexuellengesetzes. Psychologische Tests, in den Transpersonen Auskunft darüber geben sollen, wie sie masturbieren, halten sie für diskriminierend. Und überhaupt: „Wieso darf ein Gericht entscheiden wer ich bin und ich nicht?“, fragt Kohler.

© SZ vom 21.08.2021

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